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Nie wieder Babel? Sprachenpolitik zwischen Einheit und Pluralität

Sprache ist das zentrale Element menschlichen Zusammenlebens. Doch die EU befindet sich in Sachen Sprachenpolitik in einer Zwickmühle: Eine gemeinsame Verkehrssprache fördern oder Sprachenvielfalt erhalten?

Artikel von Mathias Staudenmaier

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Sprache ist das zentrale Element menschlichen Zusammenlebens. Doch die EU befindet sich in Sachen Sprachenpolitik in einer Zwickmühle: Eine gemeinsame Verkehrssprache fördern oder Sprachenvielfalt erhalten?

Einst sprachen alle Menschen dieselbe Sprache. Doch dann wurden sie zu übermütig und wollten einen Turm bauen, der an Gott heranreichen sollte. So verwirrte Gott ihre Köpfe, sodass sie einander nicht mehr verstanden. So erklärt sich das Alte Testament in der Geschichte des Turmbaus zu Babel die Existenz unterschiedlicher Sprachen – ein Thema, das uns als Europäer zentral angeht, existiert doch eben jene Sprachenvielfalt auf unserem Kontinent. Doch wie sollte die EU sich sprachenpolitisch verhalten? Förderung einer einheitliche Lingua Franca oder der Sprachendiversität?

Aktuelle Regelung

Die Europäische Union erkennt im Moment 24 Sprachen als ihre Amtssprachen an. Dazu zählen alle offiziellen nationalen Sprachen – mit Ausnahme des Luxemburgischen, da die dortige Regierung auf diesen Status verzichtete – nicht aber Minderheitensprachen wie zum Beispiel das Baskische. Diese Vielzahl führt zu einem nicht unerheblichen bürokratischen Aufwand, da alle offiziellen Dokumente zur Veröffentlichung in alle Amtssprachen übersetzt werden müssen. Die intern verwendeten Arbeitssprachen sind Englisch, Französisch und Deutsch.

Sprachenpolitik gehört in den Bereich der Bildungspolitik, eine Kompetenz, die eigentlich den Mitgliedsstaaten zusteht. Dennoch übt die EU über die Klausel des Artikels 165 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU (AEUV) unterstützenden Einfluss aus. So hat sie beispielsweise das sogenannte Barcelona-Prinzip aufgestellt, demgemäß jeder EU-Bürger mindestens zwei Fremdsprachen beherrschen sollte. Die aktuelle Politik zielt also auf die Förderung verschiedener Sprachen ab. Zu Recht?

Das Ideal der barrierefreien Kommunikation

Die Argumente für eine gemeinsame Lingua Franca, die aufgrund der weitesten Verbreitung die englische Sprache sein dürfte, liegen offensichtlich auf der Hand: Die entstehenden Kommunikations- und Verständigungsgewinne durch die Tatsache, dass fast alle Europäer eine Sprache sprechen. Die Idee hat enormen Charme in einem Europa, in dem Grenzen abgebaut werden sollen. Warum also nicht auch die Sprachgrenzen? Man stelle sich vor, jeder EU-Bürger spreche Englisch, es würden keine Kommunikationshürden zwischen verschiedenen Muttersprachlern bestehen.
Der Soziologe Jürgen Gerhards träumt dadurch gar von der Entstehung einer europäischen Öffentlichkeit und der „Demokratisierung von unten“, da die unzureichende Information über europäische Politik vor allem mit der Sprachbarriere zusammenhänge. Eine traumhafte Vorstellung, Diskussion beendet. Oder?
In Vielfalt geeint?

Nun, ganz so einfach dürfen wir es uns nicht machen. Das Motto der EU lautet nicht umsonst „In Vielfalt geeint“. Darauf basierend schreibt Artikel 22 der Grundrechtecharta der Europäischen Union die „Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen“ fest, was zum Beispiel real dazu führt, dass jeder EU-Bürger sich in jeder Amtssprache an die Institutionen wenden kann, genauso wie jeder Abgeordnete des Europaparlaments in „seiner“ Sprache sprechen darf. Basis dessen ist das Prinzip, dass alle Amtssprachen den gleichen Wert besitzen.

Verschiedene Sprachen können also auch als kultureller Gewinn für Europa verstanden werden, und eine zu starke Konzentration auf das Englische dies zurückdrängen. So warnt beispielsweise der Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant vor der „Uniformierung der Sprache“. Er kritisiert, die Konzentration auf Englisch sei keineswegs paneuropäisch, sondern im Wesentlichen ökonomisch motiviert, da die englische Sprache auch kulturell nicht als „europäisch“, sondern global betrachtet eher als „amerikanisch“ wahrgenommen wird.

Sprache als Identitätsfaktor

Man hat an dieser Stelle den Drang, beiden Argumentationslinien zuzustimmen. Um einer begründeten Position näher zu kommen, muss man sich fragen: Was ist überhaupt die Bedeutung von Sprache? Die Verfechter der globalen Verkehrssprache vertreten dabei die Position, es gebe eine universelle Sprache des Denkens, und die gesprochene Sprache sei lediglich die oberflächliche Ausprägung davon. Kultur könne so theoretisch sogar mit nur einer gemeinsamen Sprache erhalten bleiben.

Doch wenn man Kultur so versteht, dass sie sich in Dingen wie Literatur, Liedern und Geschichten manifestiert, scheint diese Position kontrafaktisch, da diese Dinge selbstverständlich ganz eng mit Sprache verbunden sind. Wie könnte sich die so verstandene Kultur verbreiten, wenn die Sprache marginalisiert wird? Sprache nicht als Faktor der kulturellen Identität anzusehen ist nicht logisch, in Sprache spiegeln sich Kulturen wieder, sie ist ein Faktor unserer individuellen und kollektiven Identität. Europas kulturelle Vielfalt kann nur durch den Erhalt und die Förderung aller Sprachen Widerhall finden.

Plädoyer für die Pluralität von Sprache

Ja, die Argumente der Verfechter einer gemeinsamen Verkehrssprache sind nicht von der Hand zu weisen. Und selbstverständlich bleibt Englischkompetenz auch wichtig, Englisch ist in unserem Alltag ohnehin omnipräsent. Die Sprachenpolitik der Europäischen Union aber sollte weiterhin die Fremdsprachenkompetenz in allen europäischen Sprachen im Blick haben, und sich nicht auf das Englische versteifen. Eine solche Vereinheitlichung mit dem Holzhammer würde auch nicht funktionieren.

Eine tiefergreifende europäische Integration ist im Hinblick auf die globalen Herausforderungen, denen sich Europa und die Welt gegenübersieht, eine logische Konsequenz. Die Versuchung könnte deshalb groß sein, auch in der Sprachenpolitik weiter zu integrieren und zu vereinheitlichen. Doch dabei darf man nicht den Fehler machen zu denken, man würde Europa stärken, indem man kulturelle Eigenheiten einebnet. Das ist nicht wünschenswert und würde auch die Akzeptanz der europäischen Integration weiter untergraben. Denn unterschiedliche Sprachen sind nun einmal deutlich mehr als eine biblische Verwirrung der Köpfe.

[icon type=“info-sign“] Dieser Artikel erschien zuerst im [icon type=“link“] treffpunkt.europa 03/2015.

[icon type=“picture“] Bildnachweis: Wikimedia Commons (Pieter Bruegel: Großer Turmbau zu Babel)